Plädoyer für eine soziale Wohnungspolitik in Berlin

Am dritten Advent 2013 bekam ich meine Modernisierungsankündigung. Meine Nettokaltmiete sollte um 70% steigen. Im Laufe der nächsten Monate zeigte sich, dass ich damit sogar noch recht gut bedient war, denn die höchste Mietsteigerung in unserem Haus, von der wir erfuhren, war um 235%. Unser Vermieter? Die Gesobau, eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft. Mit den Mietern anderer betroffener Häuser der Gesobau gründeten wir den Pankower Mieterprotest und suchten Kontakt zur Politik und zu den Medien. Mit der Wut von Mietern aus 15 Häusern im Rücken gelang es uns, die verheerenden Auswirkungen der Modernisierungen ein wenig zu mildern und einen kleinen Abdruck in der Berliner Wohnungspolitik zu hinterlassen.

Von den Vertretern der Politik hörten wir in dieser Zeit unterschiedliche Aussagen, die relativ gut mit der Funktion der jeweiligen Partei in der Landespolitik korrelierten: Die Grünen und die Linken, im Abgeordnetenhaus in der Opposition, verurteilten die Mietpreistreiberei der vom Senat gelenkten landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften fast uneingeschränkt. Die SPD, Mitglied der Landesregierung, versprach, uns zu helfen, trug aber gleichzeitig – u.a. in Person des Senators für Stadtentwicklung – die Politik des Senats mit, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften um jeden Preis schwarze Zahlen zu schreiben hatten. Für die CDU beantwortete der wohnungspolitische Sprecher Brauner unsere Bitte um Hilfe indem er uns kurz und bündig erklärte, dass das, was uns widerfuhr, recht und billig war. (Die Piraten waren offenbar schlicht zu wenige, um sich auch noch Arbeit mit uns zu befassen.)

Von Seiten der Opposition waren die Aussagen meist mit Sätzen gewürzt, die auf die Tatsache hinwiesen, dass ihr Einfluss auf die Landespolitik ja begrenzt sei. Von Seiten der SPD war – zumindest unter vier Augen immer mal wieder – zu hören, dass man ja sehr gern sozialer sein wolle, das aber mit dem Koalitionspartner...nun, eben schwierig wäre.

Nun, liebe SPD, liebe Linke, liebe Grüne, sind diese Hindernisse beseitigt. Die Mehrheit der Wähler haben Parteien gewählt, die sich (auch) "sozial" auf die Fahnen geschrieben haben, und diesem Abgeordnetenhaus damit einen ganz eindeutigen Auftrag gegeben. Jetzt habt Ihr die Chance, in Berlin eine neue Wohnungspolitik zu beginnen, die der Masse der Wähler dient. Und die mieten- und wohnungspolitischen Initiativen dieser Stadt erwarten nichts weniger von Euch, als eine völlige Neuausrichtung der Wohnungspolitik. Keine Phrasen mehr, was Ihr alles machen würdet, wenn Ihr nur könntet, sondern Taten und Ergebnisse!

Die ca. 85% der Berliner, die in Mietwohnungen leben, erwarten eine soziale Wohnungspolitik. Sie erwarten sozialen Wohnungsbau, der auch wirklich sozial ist und denen, die auf dem freien Wohnungsmarkt keine Chance haben, dauerhaft bezahlbaren Wohnraum sichert, statt wie bisher üblich Investitionshilfen für ein paar wenige große Investoren. Die rund 60% der Berliner Haushalten, die ein Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein haben, erwarten landeseigenen Wohnungen in ausreichendem Maße, die für sie auch bezahlbar sind, statt der weiteren Vernichtung preiswerten Wohnraums durch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften im Auftrage des Senats. Und die Mieter der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften erwarten, dass die Klagen gegen die Mieter beendet werden, die sich teilweise seit Jahren gegen die Gentrifizierung ihres Hauses im Auftrage des Senats wehren, und dass die unsäglichen Mieterratswahlen, bei denen kritische Mieter von vornherein von der Kandidatur ausgeschlossen wurden, wiederholt werden.

Liebe SPD, liebe Linke, liebe Grüne! Gewonnen hat diese Wahl einmal mehr die Partei der Nichtwähler, und die mit Abstand größten Gewinne hat die AfD eingefahren. Zusammen bilden diese beiden mit fast 50% der Berliner Wahlberechtigten die Fraktion der Unzufriedenen und Hoffnungslosen. Ihr habt jetzt 5 Jahre lang die Chance, diesen Wählern zu zeigen, dass sie falsch lagen, auf dass diese Fraktion in 5 Jahren nicht die absolute Mehrheit übernimmt.

 

Update 14.10.2016: Aufruf an die Berliner Initiativen zu einem "Wohnungspolitischen Hearing zu den Koalitionsverhandlungen":

Wohnungspolitisches-Hearing.pdf
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